„Guten
Tag“, sagst du. Dir tränen die Augen, der unerträgliche Gestank
der Räucherstäbchen in dem kleinen Esoterik-Laden raubt dir bereits
nach wenigen Sekunden den Atem. Wer hier tagtäglich arbeitet, kann
nicht ganz klar im Hirn sein... „Hallöchen“, flötet der
Verkäufer hinter dem Tresen zurück, „was kann ich für dich
tun?“...oder schwul, denkst du. Aber wenn das Gespräch so
verläuft, wie du es geplant hast, wird dich der Typ am Ende nicht
mal mehr siezen. Du freust dich bereits auf diesen Moment.
Auf
dem wolkenförmigen Namensschild des Rosettensternchens steht in
schönster Mädchenschrift „Erik“, mit einem kleinen Herzchen an
der Stelle des i-Punktes. Völlig unvorbereitet erschließt sich dir
mit einem Mal die Bedeutung des Bindestrichs im Namen des Ladens.
Sollte die Schwuchtel tatsächlich so etwas wie Homor besitzen? Diese
Erkenntnis verunsichert dich kurz, doch du gewinnst deine verlorene
Selbstsicherheit schnell wieder zurück. Dass du es offensichtlich
mit dem Chef von „Esot-erik“ zu tun hast, verleiht deinem Plan
nur noch die zusätzliche Würze.
Dieser
Plan basiert auf einem dreistufigen Modell: Der Einleitung, dem Köder
und der Pointe. Die Pointe wird in diesem Fall eine ziemlich derbe
Zote sein, ohne jeglichen Anspruch an Niveau oder political
correctness. Eben ganz nach deinem Geschmack.
Die
Einleitung: „Ich plane einen mehrwöchigen Trip zu Fuß durch das
australische Outback und ich möchte meine Wasservorräte auf ein
absolutes Minimum beschränken. In der einschlägigen
Survival-Literatur werden ganz nützliche Alternativen genannt um den
Durst zu bekämpfen.“
Der
Blick der Eso-Schwuchtel verrät keinerlei Regung. Er ist völlig
ahnungslos, denkst du. Die Vorfreude in dir steigt.
In
einer knochentrockenen und zugleich bierernsten Art, welche die
unzweifelhafte Seriosität deines Anliegens verdeutlichen soll,
bringst du nun den Köder aus:
„Ich
benötige also etwas Hartes, auf dem ich lange und ausgiebig
rumlutschen kann. Etwas, was meine raue Zungespitze zum Spielen
verleitet, meiner trockenen Mundhöhle nach einer gewissen Zeit
wieder die nötige Feuchtigkeit verleiht und zugleich tiefe
Glücksgefühle in mir weckt.“
Das
muss man nun erst einmal kurz sacken lassen. Die Miene der der
Tresen-Transe verzeichnet einen kurzen Verlust der
Selbstbeherrschung. Schön, denkst du dir, das läuft ja wie am
Schnürchen. Du möchtest gerade zur Pointe ansetzen (etwa im Sinne
von: „Kieselsteine. An was dachten Sie denn?“), da verändert
sich der Gesichtsausdruck deines Gegenübers erneut. Du stehst wieder
vor der debil grinsenden Eso-Tunte. „Alles klärchen, ich weiß
schon bescheid.“, näselt seine Stimme zart und seine Augen blicken
dich herausfordernd an. Damit hast du allerdings nicht gerechnet.
Völlig aus dem Konzept gebracht stehst du stumm da, unfähig dem nun
Kommenden noch etwas entgegensetzen zu können. Ungläubig denkst du
nur: Der wird es doch wohl nicht wagen… Aber da nimmt das Unheil
bereits seinen Lauf.
Erik
der Weiche, wie ihn seine Wikinger-Vorfahren getauft hätten, dreht
sich um und wendet sich einer meterhohen Schrankwand zu, in der
hunderte kleiner Plastikboxen sauber aufgereiht stehen. Du beginnst
innerlich zu kochen, möchtest dir das allerdings nicht anmerken
lassen. Die Show muss jetzt durchgezogen werden.
Erika
wandelt die Schrankwand entlang und tut so als suche er etwas ganz
bestimmtes. Arschloch, denkst du dir, hör’ schon auf mit dieser
albernen Schauspielerei. Du brodelst. „Ach dort oben haben wir es
ja.“ Du beobachtest regungslos wie der Nougattaucher eine kleine
Trittleiter ans Regal lehnt, hinaufsteigt und eine der Schubladen
herauszieht. Mit Hilfe einer kleinen Schaufel füllt er einige
schwarze Steinchen in ein bereitgelegtes Hanfsäckchen. Dieses wiegt
er abschätzend in der linken Hand. Dann taucht er das Schäufelchen
mit der rechten erneut in die Box, begutachtet die Menge auf der
Schippe und korrigiert sie durch ein spielerisches Schütteln aus dem
Handgelenk. Überheblicher Sack, denkst du dir genervt, sagst aber:
„Es darf ruhig ein wenig mehr sein.“ Dies beantwortet die
Schwuchtel lediglich mit einem süffisanten Grinsen von der Leiter
und füllt die spitzen Steine in den Beutel. Der Affe schiebt die
Lade ordentlich zurück ins Regal, steigt die zwei Stufen herunter,
stellt die Leiter wieder beiseite, knotet dann das kleine Säckchen
mit einer rosafarbenen Schleife zu und legt es auf den Tresen.
„Magische Lutschkiesel aus dem Hutzelbach, mehrfach handgesiebt,
Güteklasse A2. Die 464 Gramm machen dann 37,22 Euro.“ Du
schluckst. Nicht nur dass das Arschloch es tatsächlich gewagt hat,
dir die Pointe zu versauen, nein, zu allem Überfluss zockt der dich
auch noch ab. Rollsplit aus dem Container wäre billiger zu haben
gewesen als dieser eine angestrebte Kalauer. Mit Mühe unterdrückst
du den nahe liegenden Gedanken an ein paar ordentliche Backpfeifen.
Diese Genugtuung wirst du ihm nicht verschaffen. Stattdessen knöpfst
du deine Jacke auf und greifst in der Innentasche nach deinem
Portmonnaie. Wohl wissend dass dein Bargeld nie im Leben ausreicht,
möchtest du gerade mit Daumen und Zeigefinger deine EC-Karte zücken,
da ertönt wieder die nasale Stimme des Hinterladers: „Unser
Lesegerät ist leider dort, wo es nicht hingehört.“ Du zögerst.
Der wird doch jetzt nicht… „nämlich im Arsch.“, fügt er breit
grinsend hinzu. Du platzt gleich vor Zorn. Nicht nur dass der
Spermagurgler deine wohl geplante Pointe kaputt gemacht hat, nein,
jetzt bringt der Arsch auch noch diese Art des vorhersehbaren Witzes.
Deine Art. Maßlose Gewalt scheint dir in dieser Situation ein
gerechtfertigtes Mittel, schließlich wurdest du bestohlen - Mundraub
nennt man das wohl. Äußerlich lässt du dir diese Gedankengänge
jedoch nicht anmerken. Du packst um demonstrative Ruhe bemüht den
gesamten Inhalt deiner Geldbörse auf die Theke und kratzt zusätzlich
noch aus allen möglichen Taschen dein letztes Kleingeld zusammen.
Das Arschloch zählt übertrieben sorgsam und sagt schließlich: „Da
stünde dann noch eine Differenz von 12,37 Euro zu Buche.“ Der
bettelt doch geradezu um Schläge, denkst du. In dir reift der
Gedanke, dass der Penner ohne seine Zahnleisten und mit ausgerenktem
Kiefer wohl mehrere Freier gleichzeitig oral befriedigen könnte.
Deshalb legt er es wohl so offensichtlich darauf an, vermöbelt zu
werden. Diesen Gefallen wirst du ihm aber nicht tun. Mit
ungeschickten Fingern öffnest du die rosa Schleife des Säckchens
und greifst nach einigen Steinen, die du neben das Geld auf die
Ladentheke legst. Sein Kopfschütteln verrät dir, dass das wohl noch
nicht ausreicht. Du greifst erneut in den kleinen Beutel und legst
ein weiters Häufchen der schwarzen Steinchen dazu. Sackgesicht nickt
jetzt und setzt sein überheblichstes Grinsen auf. Du knüpfst einen
festen Doppelknoten in das rosa Bändchen und wendest dich ohne
weiteren Blick ab. Im Rausgehen sagst du noch in gut vernehmbarer
Lautstärke: „Und um ihre Frage noch zu beantworten: Nein, ich bin
in keinster Weise daran interessiert, ihren strammen Fleischprügel
unter der Theke auf meiner Zungen tanzen lassen, während sie die
alten Schachteln abkassieren.“ Die angesprochenen alten Schachteln,
ca. eine handvoll Damen im gehobenen Alter, die in dem kleinen Laden
vor verschiedenen Regalen mit irgendwelchen magischen Kristallen oder
anderem esoterischen Scheißdreck stehen, blicken stirnrunzelnd auf.
Dir ist in diesem Moment völlig egal, ob sie von einer in dieser
Altersgruppe häufiger anzutreffenden Homophobie geleitet werden oder
ob sie die Betitelung als „alte Schachteln“ als unerhört
empfinden. Eine knallt die Rudolf-Steiner-Biografie, in der sie bis
eben interessiert geschmökert hatte, mit einem lauten Schlag zu,
bedenkt die irritierte Theken-Tunte mit einem vernichtenden Blick und
strebt energisch dem Ausgang entgegen. Die restlichen Omas tun es ihr
gleich. Du hälst allen galant lächelnd die Ladentür auf und
schaust zu, wie der Großteil der Gruppe in die gegenüberliegende
Thalia-Buchhandlung strömt. Jetzt ist es an dir das so lange
ersehnte überhebliche Grinsen aufzusetzen. Du schenkst es der nun
wütend dreinschauenden Eso-Schwuchtel und gehst zufrieden deiner
Wege.
Um
die nächste Ecke holst du das Säckchen mit den magischen Steinen
hervor. Den Doppelknoten bekommst du auch nach längerem Herumnagen
nicht auf. Deshalb fragst du den kleinen Türken-Jungen, der gerade
an dir vorbei geht, nach seinem Messer. Der Dreikäsehoch aus dem
Morgenland lächelt freundlich und reicht dir sein Butterfly.
“Selbstverständlich, ich helfe doch gerne.“, sagt der Knirps in
nahezu akzentfreiem Deutsch und irritierender Weise scheint er es
wirklich ernst zu meinen mit seiner ausgesuchten Höflichkeit.
Du
schneidest das rosa Band durch, reichst dem Jungen sein Messer und
bedankst dich ebenso formvollendet. Im Gehen steckst du dir einen der
spitzen schwarzen Steinchen in den Mund und bleibst abrupt stehen.
Mit aller Macht und ganzer Konzentration gelingt es dir, den sofort
einsetzenden Würgereflex, hervorgerufen durch den Geschmack von
Fäkalien jeglicher Art auf deiner Zunge, zu unterdrücken. Du spukst
den Stein aus und verharrst noch einige Augenblicke schwer atmend,
angelehnt an einen Laternenpfahl. Keine zwei Schritte entfernt steht
einer dieser kleinen Streugutcontainer. Du gehst hin, öffnest den
orangenen Deckel und schüttest den Inhalt des Hanfbeutels dazu. Dir
fällt auf, dass sich der Split und die angeblichen Hutzelbach-Steine
auffallend ähneln. Du zögerst kurz, doch letztendlich siegen deine
kindliche Neugier und der tiefe Wunsch nach endgültiger Gewissheit
in dir und du greifst dir einen Streugutkiesel.
Das
dir bereits bekannte Geschmackserlebnis zwingt dich erneut dazu,
deine ganze Willenskraft aufzubieten. Der Obdachlose, der neben dem
Container liegt und das Spektakel bislang interessiert verfolgt hat,
meldet sich nun, offensichtlich in höchstem Maße empört, zu Wort.
„He, was fällt dir denn ein. Ich nasch’ doch auch nicht aus
deinem Klo.“
Das
war jetzt allerdings auch für dich zuviel. Dir wird schwummrig und
das letzte was du siehst, ist das hämische Grinsen des Homos aus dem
Eso-Laden, das lebhaft vor deinem inneren Auge erscheint. Du klappst
der Länge nach hin und bist schon bewusstlos als du hart auf dem
Pflaster aufschlägst. Der Penner grinst amüsiert und denkt sich:
„Die glauben auch alles. Yuppies!“ Dann rollt er sich wieder in
seinen abgenutzten Bundeswehrschlafsack ein und schenkt dir noch ein
letztes „Gute Nacht!“.
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