Die
sengende Hitze macht dir am meisten zu schaffen. Es ist zwar Winter
auf der Südhalbkugel, doch die Sonne brennt selbst noch am späten
Nachmittag mit erbarmungsloser Beständigkeit auf dich herab. Der
Schweiß dringt dir aus allen Poren, willenlos tragen dich deine Füße
immer weiter gen Westen. Du denkst bereits längst nicht mehr, setzt
wie in Trance nur noch einen Schritt vor den nächsten und hast
lediglich das eine Ziel: Überleben!
Der
Trip zu Fuß durch die weite Einöde der australischen Wüste hat
sich zum vielleicht letzten großen Abenteuer deines Lebens
entwickelt. Die ultimative Herausforderung, die kein Scheitern
duldet.
Und
dann das: Aus dem Augenwinkel nimmst du ein kaum merkliche Bewegung
wahr. Du stockst, dein Herz schlägt dir plötzlich bis zum Hals und
pumpt dir stoßweise Adrenalin durch den dehydrierten Körper. Mit
einem Schlag bist du hellwach, denn du weißt: Das ist die Situation,
vor der dich alle einheimischen Buschmänner mit angsterfüllten
Blicken so eindringlich gewarnt haben. Du rufst dir ihre Worte mit
aller Anstrengung zurück ins Gedächtnis und unterdrückst den
panischen Wunsch nach kopfloser Flucht. Es wäre pure
Energieverschwendung, sie würden dich eh kriegen. Nutze deine
letzten Reserven lieber für den unvermeidlichen Kampf und hoffe,
dass es nicht zu viele sind. Langsam drehst du dich um, jede Sehne in
deinem Leib ist bis zum Zerreißen gespannt. Die Götter scheinen dir
alles andere als wohlgesonnen, auch der letzte Funken Hoffnung
vergebens, denn du siehst dich einer ganzen Armee der
unerbittlichsten Krieger gegenüber. Hunderte Augenpaare durchbohren
dich mit hasserfülltem Blick, du weißt, hier ist keine Gnade zu
erwarten. Nach schier endlosen Sekunden des gegenseitigen Belauerns,
in denen du bereits mit der Welt abgeschlossen hast, beginnt der
Kampf. Ein Orkan aus Schlägen und Tritten prasselt auf dich
hernieder. Mit der Wut der Verzweiflung setzt du dich gegen deine
übermächtigen Angreifer zur Wehr: Kängurus mit roten
Boxhandschuhen.
Du
teilst in alle Richtungen aus, schlägst wild um dich und steckst
doch einen harten Treffer nach dem anderen ein. Aber du wirst dich
ihnen nicht ergeben, niemals!
Das
schlimme Gemetzel, von dem die Abbos noch in Generationen sprechen
werden, wird in einer Wolke aus rotem Staub verschluckt. Zweimal muss
sich die Sonne neu am Horizont erheben, der Kampf tobt jedoch ohne
Unterlass weiter! Deine Fäuste sind schon lange geschwollen und
schwer wie Blei, die kraftraubenden Tritte gehen jetzt immer öfter
ins Leere. Du taumelst und setzt einen letzten linken Schwinger in
die Richtung, in der du einen Gegner vermutest. Es wird dein letzter
Schlag sein, für mehr reichen deine Kräfte nicht. Hart treffen
deine aufgeplatzten Knöchel den Unterkiefer eines fiesen
Beuteltiers. Du spürst wie er bricht und denkst noch: Ich habe hier
alles gegeben! Das Vieh geht dumpf zu Boden, du lässt die Arme
hängen, hast keine Energie mehr um dem nächsten Angriff etwas
entgegenzusetzen. „Jetzt habt ihr mich!“ Schwankend stehst du da,
bereit für das unausweichliche Ende - doch nichts passiert.
Nach
und nach legt sich die rote Dunstwolke, dein Adrenalinspiegel sinkt
und du spürst mit einem Mal jeden einzelnen Knochen in deinem
Körper, vor allem die kaputten. Der rechte Arm hängt ausgekugelt
und schlaff herab, mit der linken Hand befühlst du die zahllosen
Beulen an deinem Hinterkopf. Blut rinnt dir in Strömen aus den
vielen Cutverletzungen im Gesicht. Durch deine gebrochene Nase
bekommst du nur schwer Luft und deine Zunge stößt beim Abtasten der
Zahnreihen in die eine oder andere neue Lücke. Oberkörper und
Beinen scheinen eine einzige riesige Schürfwunde zu sein, mindestens
drei Rippen sind angeknackst - aber du stehst!
Du
schaust dich um. Es bietet sich dir ein erschreckendes Bild.
Mindestens sieben Dutzend Kängurus liegen in teilweise unnatürlichen
Verrenkungen auf dem Boden. Viele stöhnen und atmen schwer.
Sanitäterkängurus hüpfen von einem zum andern, verteilen Pflaster
und tröstende Worte und packen die, bei denen nichts mehr geht, in
ihre großen Beutel. Weniger schwer verwundete stützen ihre
humpelnden Gefährten. Viele haben, des Kämpfens müde, ihre roten
Boxhandschuhe in den Staub geworfen.
Was
bisher keiner noch so großen Militärmacht gelungen ist, du hast es
geschafft. Du hast die Kängurus in einem aussichtslosen Kampf
besiegt und ihrer überheblichen Art damit ein für alle mal ein Ende
gesetzt. Und du hast überlebt.
Deine
matten und ungläubigen Blicke schweifen über das endlose Meer aus
Beuteltierleibern. Und dann siehst du ihn: Keine zwei Schritte neben
dir liegt ein blutüberströmter gräulicher Fellknäuel, kaum größer
als ein Säugling. Du näherst dich ihm und sinkst neben ihm auf die
Knie. Der kleine Koala regt sich nicht. Mit der Wange nahe über
seiner kleinen Stupsnase und der Hand auf seinem winzigen Brustkorb
prüfst du seine Atmung. Doch du spürst keinen Lufthauch, kein Heben
und Senken der pelzigen Brust. Mit der die letzte Gewissheit noch
verdrängenden Hoffnung tastest du nach dem Pulsschlag des süßen
kleinen Bären. Doch es ist zu spät. Das harmlose Tierchen ist
dahin. Die kastanienbraunen Augen schauen dich groß und mit
entwaffnender Unschuld an. Noch nie wurde wohl ein einziges stummes
Wort so laut, klar und mit dieser grundehrlichen Naivität in die
Welt hinausgeschrien: Warum?
Eine
einzelne Träne rinnt dir über die blutverkrustete Wange. Sie tropft
auf die Erde und wird sogleich gierig vom ausgedörrten Wüstenboden
aufgesogen. Mit sanfter Geste schließt du die Lider des kleinen
Rackers, auch um der bohrenden Frage zu entgehen, denn du kennst die
unbefriedigende Antwort: „Entschuldige kleiner Freund“ sagst du.
„Du bist unfreiwillig zwischen die Fronten eines Krieges geraten,
der nichts mit dir zu tun hatte und in dem du keine Chance hattest.
Du bist das unschuldige Opfer des Krieges.“ – Eben ein
Koalateralschaden.