Samstag, 23. Februar 2013

5862 Zeichen für einen miesen Kalauer


Die sengende Hitze macht dir am meisten zu schaffen. Es ist zwar Winter auf der Südhalbkugel, doch die Sonne brennt selbst noch am späten Nachmittag mit erbarmungsloser Beständigkeit auf dich herab. Der Schweiß dringt dir aus allen Poren, willenlos tragen dich deine Füße immer weiter gen Westen. Du denkst bereits längst nicht mehr, setzt wie in Trance nur noch einen Schritt vor den nächsten und hast lediglich das eine Ziel: Überleben!
Der Trip zu Fuß durch die weite Einöde der australischen Wüste hat sich zum vielleicht letzten großen Abenteuer deines Lebens entwickelt. Die ultimative Herausforderung, die kein Scheitern duldet.
Und dann das: Aus dem Augenwinkel nimmst du ein kaum merkliche Bewegung wahr. Du stockst, dein Herz schlägt dir plötzlich bis zum Hals und pumpt dir stoßweise Adrenalin durch den dehydrierten Körper. Mit einem Schlag bist du hellwach, denn du weißt: Das ist die Situation, vor der dich alle einheimischen Buschmänner mit angsterfüllten Blicken so eindringlich gewarnt haben. Du rufst dir ihre Worte mit aller Anstrengung zurück ins Gedächtnis und unterdrückst den panischen Wunsch nach kopfloser Flucht. Es wäre pure Energieverschwendung, sie würden dich eh kriegen. Nutze deine letzten Reserven lieber für den unvermeidlichen Kampf und hoffe, dass es nicht zu viele sind. Langsam drehst du dich um, jede Sehne in deinem Leib ist bis zum Zerreißen gespannt. Die Götter scheinen dir alles andere als wohlgesonnen, auch der letzte Funken Hoffnung vergebens, denn du siehst dich einer ganzen Armee der unerbittlichsten Krieger gegenüber. Hunderte Augenpaare durchbohren dich mit hasserfülltem Blick, du weißt, hier ist keine Gnade zu erwarten. Nach schier endlosen Sekunden des gegenseitigen Belauerns, in denen du bereits mit der Welt abgeschlossen hast, beginnt der Kampf. Ein Orkan aus Schlägen und Tritten prasselt auf dich hernieder. Mit der Wut der Verzweiflung setzt du dich gegen deine übermächtigen Angreifer zur Wehr: Kängurus mit roten Boxhandschuhen.
Du teilst in alle Richtungen aus, schlägst wild um dich und steckst doch einen harten Treffer nach dem anderen ein. Aber du wirst dich ihnen nicht ergeben, niemals!
Das schlimme Gemetzel, von dem die Abbos noch in Generationen sprechen werden, wird in einer Wolke aus rotem Staub verschluckt. Zweimal muss sich die Sonne neu am Horizont erheben, der Kampf tobt jedoch ohne Unterlass weiter! Deine Fäuste sind schon lange geschwollen und schwer wie Blei, die kraftraubenden Tritte gehen jetzt immer öfter ins Leere. Du taumelst und setzt einen letzten linken Schwinger in die Richtung, in der du einen Gegner vermutest. Es wird dein letzter Schlag sein, für mehr reichen deine Kräfte nicht. Hart treffen deine aufgeplatzten Knöchel den Unterkiefer eines fiesen Beuteltiers. Du spürst wie er bricht und denkst noch: Ich habe hier alles gegeben! Das Vieh geht dumpf zu Boden, du lässt die Arme hängen, hast keine Energie mehr um dem nächsten Angriff etwas entgegenzusetzen. „Jetzt habt ihr mich!“ Schwankend stehst du da, bereit für das unausweichliche Ende - doch nichts passiert.
Nach und nach legt sich die rote Dunstwolke, dein Adrenalinspiegel sinkt und du spürst mit einem Mal jeden einzelnen Knochen in deinem Körper, vor allem die kaputten. Der rechte Arm hängt ausgekugelt und schlaff herab, mit der linken Hand befühlst du die zahllosen Beulen an deinem Hinterkopf. Blut rinnt dir in Strömen aus den vielen Cutverletzungen im Gesicht. Durch deine gebrochene Nase bekommst du nur schwer Luft und deine Zunge stößt beim Abtasten der Zahnreihen in die eine oder andere neue Lücke. Oberkörper und Beinen scheinen eine einzige riesige Schürfwunde zu sein, mindestens drei Rippen sind angeknackst - aber du stehst!
Du schaust dich um. Es bietet sich dir ein erschreckendes Bild. Mindestens sieben Dutzend Kängurus liegen in teilweise unnatürlichen Verrenkungen auf dem Boden. Viele stöhnen und atmen schwer. Sanitäterkängurus hüpfen von einem zum andern, verteilen Pflaster und tröstende Worte und packen die, bei denen nichts mehr geht, in ihre großen Beutel. Weniger schwer verwundete stützen ihre humpelnden Gefährten. Viele haben, des Kämpfens müde, ihre roten Boxhandschuhe in den Staub geworfen.
Was bisher keiner noch so großen Militärmacht gelungen ist, du hast es geschafft. Du hast die Kängurus in einem aussichtslosen Kampf besiegt und ihrer überheblichen Art damit ein für alle mal ein Ende gesetzt. Und du hast überlebt.
Deine matten und ungläubigen Blicke schweifen über das endlose Meer aus Beuteltierleibern. Und dann siehst du ihn: Keine zwei Schritte neben dir liegt ein blutüberströmter gräulicher Fellknäuel, kaum größer als ein Säugling. Du näherst dich ihm und sinkst neben ihm auf die Knie. Der kleine Koala regt sich nicht. Mit der Wange nahe über seiner kleinen Stupsnase und der Hand auf seinem winzigen Brustkorb prüfst du seine Atmung. Doch du spürst keinen Lufthauch, kein Heben und Senken der pelzigen Brust. Mit der die letzte Gewissheit noch verdrängenden Hoffnung tastest du nach dem Pulsschlag des süßen kleinen Bären. Doch es ist zu spät. Das harmlose Tierchen ist dahin. Die kastanienbraunen Augen schauen dich groß und mit entwaffnender Unschuld an. Noch nie wurde wohl ein einziges stummes Wort so laut, klar und mit dieser grundehrlichen Naivität in die Welt hinausgeschrien: Warum?
Eine einzelne Träne rinnt dir über die blutverkrustete Wange. Sie tropft auf die Erde und wird sogleich gierig vom ausgedörrten Wüstenboden aufgesogen. Mit sanfter Geste schließt du die Lider des kleinen Rackers, auch um der bohrenden Frage zu entgehen, denn du kennst die unbefriedigende Antwort: „Entschuldige kleiner Freund“ sagst du. „Du bist unfreiwillig zwischen die Fronten eines Krieges geraten, der nichts mit dir zu tun hatte und in dem du keine Chance hattest. Du bist das unschuldige Opfer des Krieges.“ – Eben ein Koalateralschaden.

Donnerstag, 7. Juni 2012

Wer zuletzt lacht…


Guten Tag“, sagst du. Dir tränen die Augen, der unerträgliche Gestank der Räucherstäbchen in dem kleinen Esoterik-Laden raubt dir bereits nach wenigen Sekunden den Atem. Wer hier tagtäglich arbeitet, kann nicht ganz klar im Hirn sein... „Hallöchen“, flötet der Verkäufer hinter dem Tresen zurück, „was kann ich für dich tun?“...oder schwul, denkst du. Aber wenn das Gespräch so verläuft, wie du es geplant hast, wird dich der Typ am Ende nicht mal mehr siezen. Du freust dich bereits auf diesen Moment.
Auf dem wolkenförmigen Namensschild des Rosettensternchens steht in schönster Mädchenschrift „Erik“, mit einem kleinen Herzchen an der Stelle des i-Punktes. Völlig unvorbereitet erschließt sich dir mit einem Mal die Bedeutung des Bindestrichs im Namen des Ladens. Sollte die Schwuchtel tatsächlich so etwas wie Homor besitzen? Diese Erkenntnis verunsichert dich kurz, doch du gewinnst deine verlorene Selbstsicherheit schnell wieder zurück. Dass du es offensichtlich mit dem Chef von „Esot-erik“ zu tun hast, verleiht deinem Plan nur noch die zusätzliche Würze.
Dieser Plan basiert auf einem dreistufigen Modell: Der Einleitung, dem Köder und der Pointe. Die Pointe wird in diesem Fall eine ziemlich derbe Zote sein, ohne jeglichen Anspruch an Niveau oder political correctness. Eben ganz nach deinem Geschmack.
Die Einleitung: „Ich plane einen mehrwöchigen Trip zu Fuß durch das australische Outback und ich möchte meine Wasservorräte auf ein absolutes Minimum beschränken. In der einschlägigen Survival-Literatur werden ganz nützliche Alternativen genannt um den Durst zu bekämpfen.“
Der Blick der Eso-Schwuchtel verrät keinerlei Regung. Er ist völlig ahnungslos, denkst du. Die Vorfreude in dir steigt.
In einer knochentrockenen und zugleich bierernsten Art, welche die unzweifelhafte Seriosität deines Anliegens verdeutlichen soll, bringst du nun den Köder aus:
Ich benötige also etwas Hartes, auf dem ich lange und ausgiebig rumlutschen kann. Etwas, was meine raue Zungespitze zum Spielen verleitet, meiner trockenen Mundhöhle nach einer gewissen Zeit wieder die nötige Feuchtigkeit verleiht und zugleich tiefe Glücksgefühle in mir weckt.“
Das muss man nun erst einmal kurz sacken lassen. Die Miene der der Tresen-Transe verzeichnet einen kurzen Verlust der Selbstbeherrschung. Schön, denkst du dir, das läuft ja wie am Schnürchen. Du möchtest gerade zur Pointe ansetzen (etwa im Sinne von: „Kieselsteine. An was dachten Sie denn?“), da verändert sich der Gesichtsausdruck deines Gegenübers erneut. Du stehst wieder vor der debil grinsenden Eso-Tunte. „Alles klärchen, ich weiß schon bescheid.“, näselt seine Stimme zart und seine Augen blicken dich herausfordernd an. Damit hast du allerdings nicht gerechnet. Völlig aus dem Konzept gebracht stehst du stumm da, unfähig dem nun Kommenden noch etwas entgegensetzen zu können. Ungläubig denkst du nur: Der wird es doch wohl nicht wagen… Aber da nimmt das Unheil bereits seinen Lauf.
Erik der Weiche, wie ihn seine Wikinger-Vorfahren getauft hätten, dreht sich um und wendet sich einer meterhohen Schrankwand zu, in der hunderte kleiner Plastikboxen sauber aufgereiht stehen. Du beginnst innerlich zu kochen, möchtest dir das allerdings nicht anmerken lassen. Die Show muss jetzt durchgezogen werden.
Erika wandelt die Schrankwand entlang und tut so als suche er etwas ganz bestimmtes. Arschloch, denkst du dir, hör’ schon auf mit dieser albernen Schauspielerei. Du brodelst. „Ach dort oben haben wir es ja.“ Du beobachtest regungslos wie der Nougattaucher eine kleine Trittleiter ans Regal lehnt, hinaufsteigt und eine der Schubladen herauszieht. Mit Hilfe einer kleinen Schaufel füllt er einige schwarze Steinchen in ein bereitgelegtes Hanfsäckchen. Dieses wiegt er abschätzend in der linken Hand. Dann taucht er das Schäufelchen mit der rechten erneut in die Box, begutachtet die Menge auf der Schippe und korrigiert sie durch ein spielerisches Schütteln aus dem Handgelenk. Überheblicher Sack, denkst du dir genervt, sagst aber: „Es darf ruhig ein wenig mehr sein.“ Dies beantwortet die Schwuchtel lediglich mit einem süffisanten Grinsen von der Leiter und füllt die spitzen Steine in den Beutel. Der Affe schiebt die Lade ordentlich zurück ins Regal, steigt die zwei Stufen herunter, stellt die Leiter wieder beiseite, knotet dann das kleine Säckchen mit einer rosafarbenen Schleife zu und legt es auf den Tresen. „Magische Lutschkiesel aus dem Hutzelbach, mehrfach handgesiebt, Güteklasse A2. Die 464 Gramm machen dann 37,22 Euro.“ Du schluckst. Nicht nur dass das Arschloch es tatsächlich gewagt hat, dir die Pointe zu versauen, nein, zu allem Überfluss zockt der dich auch noch ab. Rollsplit aus dem Container wäre billiger zu haben gewesen als dieser eine angestrebte Kalauer. Mit Mühe unterdrückst du den nahe liegenden Gedanken an ein paar ordentliche Backpfeifen. Diese Genugtuung wirst du ihm nicht verschaffen. Stattdessen knöpfst du deine Jacke auf und greifst in der Innentasche nach deinem Portmonnaie. Wohl wissend dass dein Bargeld nie im Leben ausreicht, möchtest du gerade mit Daumen und Zeigefinger deine EC-Karte zücken, da ertönt wieder die nasale Stimme des Hinterladers: „Unser Lesegerät ist leider dort, wo es nicht hingehört.“ Du zögerst. Der wird doch jetzt nicht… „nämlich im Arsch.“, fügt er breit grinsend hinzu. Du platzt gleich vor Zorn. Nicht nur dass der Spermagurgler deine wohl geplante Pointe kaputt gemacht hat, nein, jetzt bringt der Arsch auch noch diese Art des vorhersehbaren Witzes. Deine Art. Maßlose Gewalt scheint dir in dieser Situation ein gerechtfertigtes Mittel, schließlich wurdest du bestohlen - Mundraub nennt man das wohl. Äußerlich lässt du dir diese Gedankengänge jedoch nicht anmerken. Du packst um demonstrative Ruhe bemüht den gesamten Inhalt deiner Geldbörse auf die Theke und kratzt zusätzlich noch aus allen möglichen Taschen dein letztes Kleingeld zusammen. Das Arschloch zählt übertrieben sorgsam und sagt schließlich: „Da stünde dann noch eine Differenz von 12,37 Euro zu Buche.“ Der bettelt doch geradezu um Schläge, denkst du. In dir reift der Gedanke, dass der Penner ohne seine Zahnleisten und mit ausgerenktem Kiefer wohl mehrere Freier gleichzeitig oral befriedigen könnte. Deshalb legt er es wohl so offensichtlich darauf an, vermöbelt zu werden. Diesen Gefallen wirst du ihm aber nicht tun. Mit ungeschickten Fingern öffnest du die rosa Schleife des Säckchens und greifst nach einigen Steinen, die du neben das Geld auf die Ladentheke legst. Sein Kopfschütteln verrät dir, dass das wohl noch nicht ausreicht. Du greifst erneut in den kleinen Beutel und legst ein weiters Häufchen der schwarzen Steinchen dazu. Sackgesicht nickt jetzt und setzt sein überheblichstes Grinsen auf. Du knüpfst einen festen Doppelknoten in das rosa Bändchen und wendest dich ohne weiteren Blick ab. Im Rausgehen sagst du noch in gut vernehmbarer Lautstärke: „Und um ihre Frage noch zu beantworten: Nein, ich bin in keinster Weise daran interessiert, ihren strammen Fleischprügel unter der Theke auf meiner Zungen tanzen lassen, während sie die alten Schachteln abkassieren.“ Die angesprochenen alten Schachteln, ca. eine handvoll Damen im gehobenen Alter, die in dem kleinen Laden vor verschiedenen Regalen mit irgendwelchen magischen Kristallen oder anderem esoterischen Scheißdreck stehen, blicken stirnrunzelnd auf. Dir ist in diesem Moment völlig egal, ob sie von einer in dieser Altersgruppe häufiger anzutreffenden Homophobie geleitet werden oder ob sie die Betitelung als „alte Schachteln“ als unerhört empfinden. Eine knallt die Rudolf-Steiner-Biografie, in der sie bis eben interessiert geschmökert hatte, mit einem lauten Schlag zu, bedenkt die irritierte Theken-Tunte mit einem vernichtenden Blick und strebt energisch dem Ausgang entgegen. Die restlichen Omas tun es ihr gleich. Du hälst allen galant lächelnd die Ladentür auf und schaust zu, wie der Großteil der Gruppe in die gegenüberliegende Thalia-Buchhandlung strömt. Jetzt ist es an dir das so lange ersehnte überhebliche Grinsen aufzusetzen. Du schenkst es der nun wütend dreinschauenden Eso-Schwuchtel und gehst zufrieden deiner Wege.
Um die nächste Ecke holst du das Säckchen mit den magischen Steinen hervor. Den Doppelknoten bekommst du auch nach längerem Herumnagen nicht auf. Deshalb fragst du den kleinen Türken-Jungen, der gerade an dir vorbei geht, nach seinem Messer. Der Dreikäsehoch aus dem Morgenland lächelt freundlich und reicht dir sein Butterfly. “Selbstverständlich, ich helfe doch gerne.“, sagt der Knirps in nahezu akzentfreiem Deutsch und irritierender Weise scheint er es wirklich ernst zu meinen mit seiner ausgesuchten Höflichkeit.
Du schneidest das rosa Band durch, reichst dem Jungen sein Messer und bedankst dich ebenso formvollendet. Im Gehen steckst du dir einen der spitzen schwarzen Steinchen in den Mund und bleibst abrupt stehen. Mit aller Macht und ganzer Konzentration gelingt es dir, den sofort einsetzenden Würgereflex, hervorgerufen durch den Geschmack von Fäkalien jeglicher Art auf deiner Zunge, zu unterdrücken. Du spukst den Stein aus und verharrst noch einige Augenblicke schwer atmend, angelehnt an einen Laternenpfahl. Keine zwei Schritte entfernt steht einer dieser kleinen Streugutcontainer. Du gehst hin, öffnest den orangenen Deckel und schüttest den Inhalt des Hanfbeutels dazu. Dir fällt auf, dass sich der Split und die angeblichen Hutzelbach-Steine auffallend ähneln. Du zögerst kurz, doch letztendlich siegen deine kindliche Neugier und der tiefe Wunsch nach endgültiger Gewissheit in dir und du greifst dir einen Streugutkiesel.
Das dir bereits bekannte Geschmackserlebnis zwingt dich erneut dazu, deine ganze Willenskraft aufzubieten. Der Obdachlose, der neben dem Container liegt und das Spektakel bislang interessiert verfolgt hat, meldet sich nun, offensichtlich in höchstem Maße empört, zu Wort. „He, was fällt dir denn ein. Ich nasch’ doch auch nicht aus deinem Klo.“
Das war jetzt allerdings auch für dich zuviel. Dir wird schwummrig und das letzte was du siehst, ist das hämische Grinsen des Homos aus dem Eso-Laden, das lebhaft vor deinem inneren Auge erscheint. Du klappst der Länge nach hin und bist schon bewusstlos als du hart auf dem Pflaster aufschlägst. Der Penner grinst amüsiert und denkt sich: „Die glauben auch alles. Yuppies!“ Dann rollt er sich wieder in seinen abgenutzten Bundeswehrschlafsack ein und schenkt dir noch ein letztes „Gute Nacht!“.

Freitag, 20. April 2012

Premiere (die 2.)

Wow, ich habe soetwas wie Fans...oder zumindest einen Kommentartor. Zum Glück habe ich die Benachrichtung per Mail bekommen, sonst hätte ich das Ganze hier echt vergessen. Wie passend, dass ich vor Kurzem eine tolle Meldung gelesen habe, die supergut zum Blogtitel passt.

Also bitte liebe Welt, lies meine Geschichte von Frank (Name kann durch beliebigen männl. Vornamen ersetzt werden, Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind nicht von der Hand zu weisen):


Es ist ein kalter Morgen. Draußen treibt der peitschende Wind den Schneeregen über die bergige Hochebene. Durch die schmalen Ritzen der dürren Hütte zieht es gewaltig. Doch nicht durch die klamme Witterung erwacht Frank an diesem Morgen. Im Flur vor seiner Zimmertür hört er das gleichmäßige Brummen des alten Vorwerk Staubsaugers. Das alleine würde seinen gesegneten Schlaf allerdings nie im Leben unterbrechen. Es ist vielmehr das ohrenbetäubende Getöse, wenn die Elektrodüse mehrmals mit voller Wucht gegen seine Zimmertür gepollert wird. Er weiß Bescheid und seine Laune verdunkelt sich schlagartig. Eben noch in wohligen Träumen geschlummert, jetzt schon wieder im bekackten täglichen Dasein angekommen. Frank zieht seine buschigen Augenbrauen zusammen und verengt seine dunklen Augen zu Schlitzen. Weil das schon seit vielen Jahren so geht, hat Frank mittlerweile eine sehr faltige Stirn und der grimmig bärbeißige Gesichtsausdruck ist zu seinem Markenzeichen geworden. Der schwarze, ungepflegte Backenbart mit seinen kahlen Stellen unterstreicht das nur noch zusätzlich (aber wenn man den lieben langen Tag nichts Richtiges zu tun hat, lässt man sich eben ein wenig gehen). Ginge es nur nach seinem Äußeren könnte er mit seinen gerade mal 28 Lenzen locker den vollen Rentenanspruch geltend machen, aber einem Kinderspielplatz dürfte er sich keine 100 m näheren, weil die kleinen Knirpse es mit der Angst zu tun bekämen.
„Willsde net amool uffsteeehn?“ Das schneidende Organ seiner Mutter übertönt den Vorwerksauger mühelos. Und natürlich pollert sie bei diesen Worten weiterhin kräftig gegen die morsche Holztür. Man könnte ihre luftschutzsirenengleiche Stimme alleine ja vielleicht überhören. Frank antwortet mit einem Brummen, richtet sich auf, reibt sich die müden Augen und schlüpft in seine Sandalen. Sein Nachthemd lässt er gleich an. Wer weiß, wenn Mutter nachher auf den Markt geht, hat er vielleicht nochmal ein Stündchen im molligen Federbett.
Frank schläft wirklich sehr gerne. Leider hat er in dieser Zeit keine Möglichkeit einer erwerbstätigen Beschäftigung nachzugehen. Seiner Meinung nach ist das nicht so schlimm. Jobs gibt es bei der momentanen Wirtschaftslage eh keine und vom kleinen Gemüsekarten hinterm Haus lässt es sich gut leben. Wozu also auch noch arbeiten? Seine Mutter sieht das erwartungsgemäß etwas anders. Ständig macht sie ihm die Hölle heiß und bedenkt Frank mit wenig schmeichelnden Ausdrücken aus dem dialektalen Sprachgebrauch, wie zum Beispiel: „strunzdumm“, „zunixzugebrauche“ und „faulbiszumgehdnetmeeehr“. Das gefällt Frank nicht. Eigentlich hat Frank ein eher gelassenes Gemüt, aber seine Mutter stresst ihn.
Und dann wieder diese Nummer mit Staubsauger, irgendwann langt’s. Frank brodelt innerlich als er träge zum Küchen-Ofen schlurft und sich einen Tee in die abgegriffene „BOSS“ Tasse einschenkt, bei der mittlerweile nur noch die beiden letzten Buchstaben auf der Seite prangen. Er genießt in stoischer Ruhe seinen Tee, während die alte Hexe hinter ihm in ihr typisches Geplärre verfällt.

„30 Joar und noch immer nix erreischd.“ - Wie gesagt, Frank ist erst 28 und hätte somit noch Zeit etwas zu erreichen. Auf diesen Umstand möchte er sie allerdings jetzt nicht hinweisen.

„Was hab isch nur falsch gemachd?“ - Eine rein rhetorische Frage. Natürlich hat SIE nichts falsch gemacht.

„Immer hängd der mit denen annern Debbe ausm Ort rum anstadd schaffe zu gehen.“ - Frank mag seine Freunde. Er unternimmt tatsächlich sehr viel mit ihnen und sie erleben auch tolle Abenteuer zusammen. Die Jungs sind allesamt ganz prima Kerle mit hohen moralischen Ansprüchen und gläubig sind sie auch noch. Manchmal streifen sie tagelang durch die Gegend, unternehmen Wanderungen durch die Berge, bauen Höhlen, spielen mit Feuer und Messern und allerlei gefährlichen Sachen. Was Pfandfinderjungs halt gerne so machen. Aber davon möchte seine Mutter nichts hören.

„Isch hab die größde Luftnummer als soohhn.“ - Dieser Satz ist neu in ihrem Repertoire. Und weil Frank ihn nicht gewöhnt ist, verletzt er ihn tatsächlich. Er verschluckt sich an seinem Tee und muss kurz würgen. Tränen schießen ihm in die Augen (wegen des Tees, nicht weil er weinerlich ist). Seine Mutter brabbelt unaufhörlich weiter vor sich hin, doch ihre Tiraden gehen mittlerweile an Frank vorbei. Er wischt sich mit seinem langen Ärmel über die Lippen und geht ohne ein weiteres Wort in seinem Pyjama nach draußen. Frank hat keinen Bock mehr. Er hat einen Entschluss gefasst und geht entschlossen die Straße hinunter.

Auf seinem Weg reißt er eines der Plakate von der Wand, die schon seit geraumer Zeit überall im Ort über den Aufklebern „Plakate ankleben verboten!“ angebracht sind und die bisher niemand sonderlich beachtet hat. Darauf ist ein Foto von ihm. Seine Kumpels haben ihn damals aufgezogen, als die ersten Plakate aufgehängt wurden. „Oh wir haben eine Berühmtheit unter uns.“, „Schaut hier kommt unser nächstes Male Model of the year.“ Und derlei ironischen Schwachfug haben sie immer erzählt. Es war immer sehr witzig und Frank musste auch immer ein wenig mitlachen, wenn die Jungs sich wieder einen lustigen Spruch ausgedacht hatten. Doch jetzt hatte Frank keinen Bock mehr.


Mit dem Plakat in der Hand, wehendem Schlafanzug, grimmigem Gesicht und ungepflegtem Bart geht Frank schnurstracks ins Büro des ortsansässigen Schutzmanns. Der kennt Frank bereits von Geburt an, schließlich waren sie viele Jahre lang Nachbarn im kleinen Ort.


„Hallo Frank, was treibt dich bei diesem Sauwetter auf die Straße?“, fragt der stets freundliche Gesetzeshüter, der schon bei vielen Streichen der Jungs ein Auge zugedrückt hat.


„Ich hab‘ keinen Bock mehr.“ Antwortet Frank und legt das ISAF-Fahndungsplakat auf den abgewetzten Tresen.

Und das ist auch schon die ganze Geschichte. Dumm ist Frank nicht. Aus Geld hat er sich auch nie etwas gemacht. Er hatte einfach keinen Bock mehr auf den ganzen Stress zu Hause. Nur leider wurde seine Geschichte (wie immer) von sensationsgeilen Medien ausgeschlachtet und völlig überdramatisiert. Egal, Frank hat endlich seine Ruhe: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,828118,00.html

Sonntag, 4. September 2011

Premiere

Ich bin dumm. Diese Erkenntnis ist mir nicht sehr neu und auch für meine Umwelt wenig spektakulär. Schon meine Mutter bekannte vor einigen Jahren mit dem emotionsschwangeren Ausruf "Isch hab nur dumme Kinner!", was sie von meinem lernabstinenten Vorbereitungen für's hessische Abitur hält. Auch meine beiden Brüder kommen bei dieser dialektalen Pauschalisierung nicht sonderlich gut weg. Und dieser Aspekt bescherte mir nach genauerem Nachdenken ein unglaublich warmes und behagliches Gefühl. Ich bin nicht alleine mit meinem Leiden. Da sind noch mehr von meiner Sorte. Mir ging es auf einmal richtig gut. Fast hätte ich sogar vor Rührung geweint. 3 von 5 Familienmitgliedern wurden mit einem Schlag zu so etwas wie der "schlichten Majorität" in unserem Haus.

Mittlerweile möchte ich sogar behaupten, dass der überwiegende Teil der Menschheit zur Dummheit neigt. Wenn ich also zu dieser Mehrheit gehöre, kann's doch gar nicht so schlimm sein. Dann können die Klugen uns nichts so einfach anhaben. Sollen sie doch kommen, diese Einsteins, Kants und Galileis dieser Welt, mit ihren Formeln (E=mc² und so), Büchern (über Vernunft und so) und Fernsehsendungen (Galileo - > Achtung Grenzfall!). Ich fühle mich sicher in meinem Turm aus Schweinskopfsülze (Boning/Dittrich 1995).

In meinem Blog möchte ich also vor allem darüber schreiben, was mir so tagtäglich passiert und wie sich das Leben als geistig Minderbemittelter so anfühlt. Ich fahre jeden Tag mit der S-Bahn zur Arbeit nach Frankfurt, es gäbe also viel zu berichten. Leider bin ich aber auch sehr faul, sehr oft werde ich also nicht posten.

Außerdem bin ich mir bewusst, dass das hier eh keiner lesen wird. Ich schreib's also vielmehr für mich auf. Dann kann ich die Geschichten später immer mal wieder rauskramen aus dieser "digitalen Kruschelkiste" (TimMey 2011 -> Die Google-Suche ergab keinen direkten Treffer für diese Wortkombination, deshalb ist das jetzt mein Zitat! Wer sich nicht dran hält, kriegt auf Arsch!) und meinen Kindern zum Einschlafen vorlesen.